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Die Gedanken sind frei

Wohl kaum ein anderes deutsches Volkslied verkörpert so kraftvoll das Ideal von Freiheit, Individualität und innerer Unabhängigkeit wie „Die Gedanken sind frei“. Ursprünglich anonym überliefert und spätestens seit dem 19. Jahrhundert weit verbreitet, gehört es bis heute zum festen Repertoire vieler Studentenverbindungen – sei es bei Kneipen, auf Kommersen oder als persönlicher Ausdruck eines gelebten Freiheitsverständnisses.


Liedtext: Die Gedanken sind frei

Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten,
sie fliegen vorbei, wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen.
Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei!

Ich denk’ was ich will und was mich beglückt,
doch alles in der Still’, und wie es sich schicket.
Mein Wunsch, mein Begehren kann niemand verwehren,
es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei!

Ich liebe den Wein, mein Mädchen vor allen,
sie tut mir allein am besten gefallen.
Ich bin nicht alleine bei meinem Glas Weine,
mein Mädchen dabei: Die Gedanken sind frei!

Und sperrt man mich ein in finstere Kerker,
das alles, das sind vergebliche Werke.
Denn meine Gedanken zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei: Die Gedanken sind frei!

Drum will ich auf immer den Sorgen entsagen
und will mich auch nimmer mit Grillen mehr plagen.
Man kann ja im Herzen stets lachen und scherzen
und denken dabei: Die Gedanken sind frei!

Historischer Hintergrund: Ein Lied der Aufklärung und des Widerstands

Die Ursprünge des Liedes reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück – eine Zeit des Umbruchs, der Zensur und des politischen Erwachens. Besonders in der Zeit der Restauration nach dem Wiener Kongress (1815) diente das Lied vielen als Ausdruck stillen Protests gegen autoritäre Herrschaft und Unterdrückung. Auch während der nationalsozialistischen Diktatur wurde es zum Symbol des inneren Widerstands – etwa von Mitgliedern der „Weißen Rose“, die es im Gefängnis sangen.

Bedeutung im Verbindungsstudententum

In der couleurstudentischen Tradition steht das Lied für mehr als nur Gedankenfreiheit. Es symbolisiert die ideelle Grundlage vieler Verbindungen: Verantwortung für das eigene Denken, Toleranz gegenüber anderen Meinungen und die Freiheit, eigene Wege zu gehen. Gesungen wird es oft in ruhigeren Momenten einer Kneipe oder als Kontrapunkt zu lauteren Trinkliedern – ein Moment des Innehaltens, der das Gemeinschaftsgefühl auf eine tiefere Ebene hebt.

Warum dieses Lied auch heute noch relevant ist

Gerade in einer Zeit, in der Meinungsvielfalt, kritisches Denken und individuelle Freiheit erneut unter Druck stehen, gewinnt „Die Gedanken sind frei“ an neuer Aktualität. Es erinnert daran, dass wahre Freiheit im Kopf beginnt – und dass keine äußere Macht über das Innere eines Menschen herrschen kann.

Timo Hänseler